„Noch einmal duschen, dann ist Weihnachten“

Vielen Menschen in Deutschland bereiten die steigenden Energiekosten schon länger Sorgen, jetzt geht es für sie um die Existenz. Manfred Kiekbusch hilft ihnen.

Fotos: Stephanie Steinkopf

Manfred Kiekbusch hat sich eine rote Weste übergeworfen, eine Tasche mit Hertha-BSC-Sticker, über seiner Schulter hängt noch ein Jutebeutel, aus dem Lampenkartons und eine Steckerleiste ragen. Er zieht die Glastür auf und tritt in die Sonne, die sich zwischen den Hochhausriegeln der Weißen Siedlung in Berlin-Neukölln ihren Weg bahnt. Sein Job: Menschen beim Geldsparen helfen.

Für die Caritas geht Kiekbusch in die Wohnungen von Geringverdienern, Arbeitslosen, Aufstockerinnen und Asylsuchenden, tauscht Glühlampen gegen LED, misst den Stromverbrauch von Fernsehern, Kühlschränken, Durchlauferhitzern, rückt Sofas weg von der Heizung und schraubt Perlatoren unter Wasserhähne, weil die dafür sorgen, dass mehr Luft und weniger Wasser aus dem Hahn kommt.

Seit Jahren macht Kiekbusch das, jeden Tag. Und mit ihm im Land mehr als 600 Kolleginnen und Kollegen allein an den Standorten der Caritas, dazu die der Verbraucherzentrale, Arbeiterwohlfahrt, Diakonie, Kommunen, privaten Agenturen – Energiesparhelfer, die Menschen davor bewahren, wegen hoher Energiekosten arm zu werden. Davon waren im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt knapp 16 Prozent der Bevölkerung bedroht. Eine Art Schwelbrand, den Kiekbusch und die vielen anderen mit ihrer Beratung noch halbwegs klein halten konnten.

Doch inzwischen ist die Lage eine andere: Im Juli waren die Importpreise von Erdgas dreimal, die Strompreise viermal so hoch wie im Vorjahresmonat. Die Abschläge bei der Gasabrechnung im kommenden Jahr könnten um den gleichen Faktor steigen. Der Schwelbrand könnte sich zu einer Feuerwalze entwickeln. Und die könnte auch Manfred Kiekbusch selbst erfassen.

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Erschienen am 12. September 2022 auf ZEIT ONLINE.