Heuknappheit: Nach dem Dürresommer ist das Futter knapp. Pferdebesitzer fürchten um das Wohl ihrer Tiere, Landwirte schützen sich vor Dieben. Nur ein Bauer bei Cuxhaven hat clever vorgesorgt.
Es dämmert bereits, als Hans-Hermann Ropers über seinen Hof in der Nähe von Cuxhaven hetzt, vorbei an einer dröhnenden Maschine, die grüngoldene Heuquader ausspuckt, vorbei an zwei Lastwagen, auf denen steht: „Alle Tiere sind froh, Ropers liefert Heu und Stroh“.
Ropers, volles weißes Haar und weiche Gesichtszüge, führt zu einer großen Halle und redet dabei so schnell, dass nur Atempausen ihn unterbrechen: „Mein Opa hat Land gekauft, mein Vater, ich, meine Söhne kaufen Land. Nun wissen wir, wofür es gut ist. Alle brauchen Heu – und ich bin einer der wenigen, der welches hat.“ Früher habe er ja noch die Spedition und den Fruchthof gehabt, aber da schrumpften die Margen, „die Butter aufs Brot wird immer dünner“. Da müsse man umsatteln, umdenken. „Wenn alle Kartoffeln anbauen, baue ich keine Kartoffeln an, sondern mache Heu.“
Hans-Hermann Ropers erntet es auf 550 Hektar, „auf bestem Elbe-Marschland“, wie er sagt. Von hier aus liefern er und seine beiden Söhne Heu- und Strohballen in die ganze Republik und darüber hinaus. Im Moment, so sagt der 61-Jährige, sei Heu „das Gold der Landwirtschaft“.
Weil es monatelang nicht regnete, brachte der erste Heuschnitt im Frühsommer nur halb so viel Ertrag ein wie sonst. Gleiches beim zweiten und dritten Schnitt. Zusätzlich hat die gleißende Sonne am wolkenlosen Himmel das Gras versengt. Deshalb müssen viele Tiere zusätzlich gefüttert werden, obwohl sie zum Grasen auf der Weide stehen.
Kühe können leicht mit Alternativen gefüttert werden, etwa mit Maissilage, Pferde hingegen nicht. Daher trifft die Heuknappheit besonders die eine Million Pferdebesitzer in Deutschland, vor allem die im Norden und im Osten, wo kaum Regen gefallen ist. Sie müssen sich etwas einfallen lassen, um ihre empfindlichen und wertvollen Tiere zu versorgen. Manche ordern das Heu per Spedition aus Bayern, aus Österreich oder aus Polen. Andere fahren, den Anhänger hinterm Auto, selbst von Hof zu Hof, um Kosten zu sparen. Denn der Preis ist seit dem Frühsommer von rund 40 Euro auf bis zu 100 Euro pro Rundballen gestiegen.
Diejenigen, die nicht rechtzeitig vorgesorgt haben, fürchten, am Ende des Winters mit leeren Raufen dazustehen. Raufe, so heißt das Gestell, in das Heu gelegt wird, damit die Tiere sich bedienen können. Deshalb steht seit Monaten beim Heuhändler Ropers das Telefon nicht still. „Die E-Mails drucke ich nur noch aus und hefte sie weg“, sagt er, während er die Tür zu der Halle öffnet und die Stufen einer schmalen Holztreppe betritt.
Weiterlesen auf ZEIT.DE, Ausgabe 02/2019.
Der Text wurde im November 2019 mit dem Journalistenpreis des Presseklubs Bremerhaven-Unterweser in der Kategorie Feature ausgezeichnet.
Begründung der Jury:
Es geht doch nur um Heu. Kann eine Geschichte über profanes Viehfutter spannend und interessant sein? Sie kann es – insbesondere vor dem Hintergrund des Dürresommers und des Klimawandels, der Heu zum knappen Gut für norddeutsche Pferdebesitzer werden lässt. Autor Fabian Franke wirft einen lokalen Blick auf ein allgegenwärtiges globales Thema, das die Menschheit bewegt. Die Botschaft des Features reicht weit über den regionalen Raum hinaus, in dem sich Heudiebe, besorgte Pferdehalter und ein kaufmännisches Cleverle tummeln: Der Beitrag gibt eine Ahnung von kommenden Verteilungskämpfen, von Verlierern und Profiteuren einer sich verändernden Agrarlandschaft. Das macht ihn hochaktuell und relevant. Unaufgeregt, sprachlich ausgefeilt und mit einem Augenzwinkern – wenn etwa Heubauer Hermann Ropers zum modernen Dagobert Duck wird – erzählt Franke seine Geschichte, die den Leser mit ihren zahlreichen wissenswerten Details ein Stück schlauer macht.
Beitragsbild: Pixnio.com, Public Domain (CC0)