Gefangen in der Mitte

Fotos: Mikhail Kalarashan, Mitarbeit: Mircea Bastovoi

Als Wladimir Putins Truppen in die Ukraine einmarschierten, beschloss Alexandru Sunița, sein Geld in
Sicherheit zu bringen. Nun, wenige Tage nach Kriegsbeginn, steht er vor einem Minibus am südlichen
Busbahnhof von Chişinău, der Hauptstadt der Republik Moldau. Die rechte Tasche seiner Jeans ist
ausgebeult. „In Rumänien ist das Geld sicherer“, sagt er und tastet nach dem Bündel: 9.900 Euro in
Fünfzigeuroscheinen. Erspartes von seiner Arbeit als LKW-Fahrer, Rücklagen seiner Eltern, seiner Frau
– und sein Notfallplan.

Sunița bringt das Geld raus aus Moldau, rein in die EU, rein in die Nato, wie er sagt. Er fürchtet, dass die russischen Truppen schon bald im ukrainischen Odessa sein könnten. Und von Odessa ist es nur ein
Katzensprung bis Transnistrien, der autonomen, von Russland gestützten Provinz im Osten der Republik
Moldau. Käme die russische Armee, sagt Sunița, wäre sein Land verloren. „Putin wird nicht in der
Ukraine stoppen. Vielleicht sind wir für ihn ein köstliches Dessert.“

Moldau, das kleine Land zwischen Rumänien und der Ukraine, das in der vergangenen Woche
angesichts der russischen Invasion im Nachbarland um Aufnahme in die EU gebeten hat, liegt nach
Belarus so nah an den Schauplätzen der russischen Angriffe wie sonst kein anderer europäischer Staat:
Kiew ist 400 Kilometer Luftlinie von der Hauptstadt Chişinău entfernt, bis zum ukrainischen Cherson, das mittlerweile von russischen Truppen besetzt ist, sind es keine 300 Kilometer.

Aber auch zu Russland gibt es in verschiedenen Landesteilen Moldaus enge Verbindungen, nicht nur
geografisch, auch gesellschaftlich. Besonders ausgeprägt ist das in Transnistrien, das eigentlich Teil
Moldaus ist. Doch nach dem Zerfall der Sowjetunion erklärte sich die langgezogene Provinz im Osten der Republik für unabhängig, Russland sprang 1992 militärisch bei und entschied die Auseinandersetzung zugunsten der Abspaltung. Zwar ist die Provinz bis heute von keinem Staat der Welt als eigenständig anerkannt, doch Transnistrien agiert seither autonom: mit einer Bevölkerung von knapp einer halben Million Menschen, mit einer eigenen Währung und mit einem eigenen Militär, das von Russland unterstützt wird. Rund 1.500 russische Soldaten sind in Transnistrien stationiert – und ein großes Waffenarsenal aus Sowjetzeiten. Allein diese Drohkulisse macht vielen Menschen in der Republik Moldau nun Angst.

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