Der Pendler

Seit 14 Jahren fährt Rüdiger Hofmann zur Arbeit von Dresden nach Stuttgart. Montagfrüh hin, Freitagnachmittag zurück. 508 Kilometer, die sein Leben verändern.

Um 5 Uhr morgens biegt Rüdiger Hofmann auf die A 4 ein und tritt das Gaspedal durch. Der dunkle Wagen rauscht über nachtschwarzen Asphalt. Draußen Nieselregen und Kälte, drinnen 22 Grad und der Geruch von Ledersitzen. Der Innenraum des 5er-BMW Touring ist erfüllt von Klaviermusik aus dem Radio, Hofmann hat MDR Klassik eingeschaltet. 508 Kilometer liegen vor ihm, ein Arbeitsweg quer durch die Republik, quer durch die Sendefrequenzen. Jeden Montag bricht der 62-jährige Bauingenieur von Dresden auf, um seine Arbeitswoche in Stuttgart zu verbringen. Hofmann ist dieses Leben gewöhnt, seit 14 Jahren kennt er es nicht anders.

Unter den Pendlern zwischen den alten und den neuen Bundesländern hat eine halbe Million Menschen dieselbe Fahrtrichtung wie er: von Ost nach West. Manche fahren nur von Plauen bis Hof, andere so weit, dass sie von Montag bis Freitag in einer Zweitwohnung leben. „Ich habe mal einen kennengelernt, der pendelt von Dresden bis an den Bodensee“, erzählt Hofmann. Fast drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung ist die ehemalige innerdeutsche Grenze wie eine Membran, die in die eine Richtung weniger durchlässig ist. Allein 11 000 Sachsen haben ihren Job in Baden-Württemberg. Hofmann ist einer von ihnen.

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Erschienen am 10.01.2018 in der STUTTGARTER ZEITUNG und am 11.01.2018 in der SÄCHSISCHEN ZEITUNG.

Fabian Franke Journalist Reportage Berufspendler Stuttgarter Zeitung